Blind Date mit Wolfenbüttel – inklusive Tipps
Meine erste Begegnung mit Wolfenbüttel läuft so ein bisschen, wie ich mir ein Blind Date vorstelle. Ganz Ergebnis-offen gehe ich an die Sache ran, ohne in diesen Städtetrip zu viele Erwartungen zu stecken. Ehe ich mich auf den Weg nach Niedersachsen mache, lese – eher überfliege – ich nur zwei Blog-Beiträge mit mehr Wolfenbüttel-Bildern, als Wolfenbüttel-Tipps. Ich kenne keine Historie, keine Sehenswürdigkeiten – vom diesjährigen Stadtgeburtstag erfahre ich nur, weil ich hinterfrage, warum auf Twitter #wf900 als Hashtag verwendet wird. Ich staune, eine mir nichtssagende Stadt wie Wolfenbüttel kann eine 900-jährige Stadtgeschichte aufweisen, die 2018 gefeiert werden soll. 900 Jahre? Ich bin beeindruckt. Vielleicht steckt da doch mehr dahinter, als ich erwarte. Meine Heimat Karlsruhe ist lediglich 300 Jahre alt. Ob es mir schließlich in Wolfenbüttel gefallen hat und ob ich Lust habe, dieses Blind Date eines Tages fortzusetzen, das verrate ich dir in diesem Beitrag.
Meine Wolfenbüttel-Tipps: Fachwerkliebe
An der Bushaltestelle „Breite Straße“ lernen Wolfenbüttel und ich uns kennen. Von Braunschweig kommend, steige ich hier aus, um zu meinem Hotel zu gehen. Die Stadt gibt gleich ihr Bestes, um mich bei diesem Date zu beeindrucken. Ohne zu zögern zeigt sie mir ihren größten Schatz: das wunderschöne Fachwerk. So manches Hausalter übersteigt deutlich meine eher schlecht geratenen Geschichtskenntnisse. Das älteste noch hier stehende Haus soll ca. 1535 erbaut worden sein.
Insgesamt stehen in der Stadt, in der etwas über 50.000 Menschen leben, rund 600 Fachwerk-Gebäude, diverse davon unter Denkmalschutz. Ein Sanierungsgebiet aus den 70ern fördert zusätzlich den Erhalt. Wer sich mit Baukunst auskennt, kann diverse Bauepochen an den unterschiedlichen Fassaden ausmachen. Das mag mir nicht gelingen, Spaß beim Betrachten und vor allem Fotografieren habe ich dennoch.
Einige der Häuser sind breit und stattlich, andere wiederum ganz schmal. Mancher Balken durchzieht völlig schief die Fassade, sodass eine Murmelbahn dagegen wie eine Gerade wirkt. Manches Fachwerkhaus ist besonders hübsch hergerichtet und kommt mit liebevollen Details, schönem Blumenschmuck oder bunten Farben, die Highlights setzen, daher. Andere wiederum sind unbewohnt. Wer weiß, wie lange diese Gebäude noch stehen und beim Vorbeischlendern kommt unweigerlich die Frage auf, wie kompliziert und vor allem teuer es wohl ist, diese Geschichte zu bewahren.
Ungelöst bleibt auch der Gedanke, wie es wohl im Inneren der alten Häuser aussehen mag. Ich wünschte mir, dass diese Orte Geschichtenerzähler wären. Ich glaube, ich würde begeistert an den Fachwerk-Lippen hängen und lauschen.
Meine Wolfenbüttel-Tipps: Lebensfreude
Später am Tag treffe ich auf Björn aus Wolfenbüttel. Sein Nachname könnte Frohnatur lauten und genau dieses fröhliche Lebensgefühl treibt meine Stimmung nach oben. Wenn Björn von der Stadt erzählt, dann ist da dieses Strahlen, das nur ein Gesicht erobert, wenn jemand von etwas wahrhaft begeistert ist. Die Wolfenbüttler sollen wohl alle mehr oder weniger wie er sein. Björn erklärt das in etwa so: Wenn du den Weg suchst, wundere dich nicht, wenn du eine unerwartete Begleitung zu deinem Ziel hast oder wenn jemand an deine Autoscheibe klopft, weil sein Parkticket noch gültig ist. Das ist die typische Wolfenbüttler Freundlichkeit.
Am meisten spüre ich die Lebensfreude, als ich durch die wunderhübsche Innenstadt schlendere und mein Blick immer wieder auf die Außenbestuhlung von Restaurants und Cafés fällt. Dabei beobachte ich die dort sitzenden Gäste. Lachend und zufrieden machen es sich die Menschen hier gemütlich. Sie wirken, als ob sie alles hätten, was sie brauchen. Kein Wunder gibt es den Stadtslogan: „Endlich zuhause!“. Meine Lieblingserinnerung ist ein etwas älterer Herr, der trotz einer Schlechtwetterfront unbeirrt draußen sitzt und an seinem Kaffee nickt. Er sieht so angekommen aus, dass sich mein Beobachten fast ein bisschen, wie ein Eindringen in seine Intimsphäre anfühlt.
Meine Wolfenbüttel-Tipps: Lessing
Ganz so viel Lebensfreude dürfte der in Wolfenbüttel tätige Bibliothekar Gotthold Ephraim Lessing nicht hier empfunden haben. Im 1733 errichteten Gebäude starb sein Sohn bei der Geburt und die Frau an deren Folgen. Wichtige Werke sollen aber entstanden sein und so ist das Lessinghaus ein spannender und trauriger Ort, der als Museum von Lessing in Wolfenbüttel erzählt.
Meine Wolfenbüttel-Tipps: Bücher
Bist du ein Büchernarr? Dann musst du nach Wolfenbüttel. Nicht wegen dem typischen Bücherschrank, den es hier natürlich auch gibt und in dem ich sogar fündig werde, sondern wegen der Herzog August Bibliothek, die im Jahr 1572 eröffnet wurde. Schon vor dreihundert Jahren war die Bibliothek unter Fürst Herzog August für ihren Bestand berühmt und bekannt. Sie galt wohl sogar als achtes Weltwunder. Heute – zwei überstandene Weltkriege später – genießt sie internationalen Ruf. Von nur einer Bibliothek zu sprechen, ist fast verwirrend. Beim Besuch gibt es ein ganzes Bibliotheksquartier zu entdecken, welches aus rund zehn Gebäuden besteht, wenn man auch die Gästehäuser für Studierende dazu zählt.
Ich besuche nur die Bibliotheca Augusta. Besonders begehrt ist ein Besuch, wenn das Original-Exemplar des zweitteuersten Buches der Welt – das Evangeliar Heinrichs des Löwen (ca 1188) – ausgestellt wird. Normalerweise beherbergt die Vitrine „nur“ eine wertvolle „Kopie“. Ich bin nicht traurig um die Kopie, stattdessen liebe ich es, den Bibliothekshauptraum, die Augusteerhalle, zu bestaunen, die alten Buchrücken zu sehen, und mir vorzustellen, mit welcher Behutsamkeit darin gelesen wird, und zu begreifen wie viel Wissen, Arbeit und Glück hier in dem Raum steckt.
Meine Wolfenbüttel-Tipps: Detailliebe im Museum
Ich bin kein Museumsfan und so bin ich dankbar, dass ich an einer Kurzführung von nur 15 Minuten im Bürger Museum teilnehmen kann. Das Museum ist noch ganz neu, 2017 eröffnet, und in einer alten Sporthalle untergebracht. Kein Wunder betritt manch Wolfenbütteler diesen Ort mit unschönen Erinnerungen – ich zumindest mochte Schulsport nie. Die Gestaltung und Idee ist jedoch sehr liebevoll und zeigt neben besonderen Stücken wie einem Lese-Stuhl aus Tierknochen, auch ein paar wunderhübsche Plastiktorten – denn zur Stadtgeschichte gehört auch eine ehemalige Konditoren-Schule.
Meine Wolfenbüttel-Tipps: Klein-Venedig
Wer beim Namen „Klein-Venedig“ mit italienischem Zauber rechnet, der könnte enttäuscht sein. Eigentlich könnte der Ort „Klein-Amsterdam“ heißen. Denn von der Okerbrücke „Schiffwall / Stobenstraße“ sieht man auf ein Grachtensystem, das holländische Städtebauer im 16. Jahrhundert verwirklicht haben. Romantisch geht es an diesem Ort, der für Stadtfotos besonders beliebt ist, dennoch zu. Denn seit einigen Jahren hängen Paare hier mit Namen und Datum versehene Liebesschlösser auf.
Meine Wolfenbüttel-Tipps: Filmkulisse
Ein Ort, der es wert ist, ein Filmteam vorbeizuschicken, der kann nicht so schlecht sein, oder? Im Schlosshof des Wolfenbütteler Schlosses wurde der Film „Der ganz große Traum des Konrad Koch“ mit Daniel Brühl in der Hauptrolle gedreht. Die Geschichte handelt von einem Fußballpionier und der Drehort dient als Kulisse für eine Braunschweiger Schule. Gleichzeitig bietet sich das Schloss an, um verschiedene Fotoperspektiven zu testen. Auch ein Museum ist darin untergebracht, welches man erkunden kann.
Übrigens das Residenzschloss der Welfen ist auch stadthistorisch relevant. Hier wurde 1118 die Stadt zum ersten Mal in Urkunden erwähnt. Die Optik des Gebäudes stammt allerdings aus dem 18. Jahrhundert.
Meine Wolfenbüttel-Tipps: Kunst auf der Straße
Für eine Streetart-Tour dürfte es nicht langen. Doch auch in Wolfenbüttel gibt es an der Straße unerwartete Kunst zu entdecken. Sei es eine „kunstvolle“ Aufführung vor dem Lessingtheater. Oder die bedächtige Schnecke am Rande des Flusses Ocker.
Meine Wolfenbüttel-Tipps: Statuen im Foto-Flausch
Normal laufe ich an Statuen meist ignorant vorbei. In Wolfenbüttel gefallen sie mir gut genug, dass sie ein Teil meiner Foto-Liebe sind. Irgendwie sind sie hier an den richtigen Stellen platziert.
Meine Wolfenbüttel-Tipps: Schlafen
Ich habe im Parkhotel „Altes Kaffeehaus“ übernachtet. Ganz überzeugt bin ich davon allerdings nicht. Vor allem wegen der eher älteren Zimmer. Lediglich mein Bad ist ganz neu renoviert. Geliebt hätte ich eins: Auf der Gartenterrasse zu frühstücken. Leider regnet es am Morgen, so dass ich die Lage am Park, die mich vielleicht über die Nachteile hinweggetröstet hätte, nicht genießen kann. Das Frühstück hat aber eine schöne Auswahl und der Sauna-Bereich soll frisch renoviert sein.
Bei einem Wiederbesuch würde ich versuchen, im „schmalsten Haus in Westdeutschland“ zu übernachten. Das steht laut dem oben erwähnten Björn nämlich ebenfalls in Wolfenbüttel und man kann es wohl mieten. Klingt toll, oder?
Meine Wolfenbüttel-Tipps: Essen
Ich war zu Besuch bei einer Weiterbildung, so dass ich lediglich zwei Abende essen war. Beide Lokale kann ich empfehlen.
L’Olivieto
Der Italiener glänzt mit seiner selbst gemachten Pizza. Sie ist riesig. Wirklich wahr. Es gab sogar männliche Weiterbildungsteilnehmer, die sie nicht gepackt haben! Und lecker schmeckt sie mir auch. Laut Björn soll es die Pizza auch in klein geben, das habe ich zu spät erfahren. Besser ist es, da mal nachzufragen. Es ist allerdings etwas laut, da der Raum sehr groß und auch gut gefüllt ist. Da die Tische auch schön groß sind, ist es schon zu viert schwierig ein gemeinsames Tischgespräch zu führen.
Viet-Thai
Leider habe ich ganz vergessen, meine Ente in Erdnusssoße zu fotografieren. Der Asiate mit wenig vietnamesischer und sehr viel thailändischer Küche hat eine große Karte und ist am Samstagabend gut besucht. Wir sind zu acht da und können gemeinsam sprechen, das genieße ich sehr. Ebenso wie das Essen, das meinen Geschmack trifft.
Meine Wolfenbüttel-Tipps: Anreise
Wolfenbüttel liegt rund 20 Minuten mit dem Bus von Braunschweig entfernt. Auch der Regionalzug verbindet Wolfenbüttel und Braunschweig. Wenn du mit einem Zugsparpeis fährst, kann es billiger sein, Braunschweig als Endbahnhof zu wählen und die vier Euro für den Bus separat zu bezahlen.
Mein Wolfenbüttel-Fazit
Es gibt einen Werbespruch, der da lautet „Wolfenbüttel … viel mehr als sie denken!“ und genau mit diesen Worten im Kopf beende ich mein kleines Blinde Date in der Fachwerkstadt. Sehen wir uns wieder? Mal sehen. Wolfenbüttel ist klein und beschaulich und von Touristen – so kommt es mir zumindest vor – viel zu unterbewertet. Ich gehe ein bisschen verliebt nach Hause, weiß aber auch, dass es ein Event bräuchte, damit ich wieder komme. Eins zu finden, sollte aber nicht zu schwer sein. Der Eventkalender der Stadt ist nämlich gut gefüllt – auch etwas, worauf man in Wolfenbüttel stolz ist.
Vielen Dank an die Stadt Wolfenbüttel, die mich im Zuge des Reiseblogger Barcamps bei der Übernachtung und mit Programm und Essen unterstützt hat.
Lieben Dank Tanja ❤️
PS: Das Bürger Museum wurde 2017 eröffnet ?
Hallo Tanja,
schön, dass Dir Wolfenbüttel gefallen hat. Das ist nämlich meine Heimatstadt : ) und das Schloss war mein Gymnasium. Mit deinen Bildern bin ich also kurz mal nach Hause gereist. Danke dafür.
Du legst in deinem Bericht den Finger in die Wunde. Ich finde leider auch kein anständiges Hotel in der Stadt und weiche beim Heimatbesuch oft auf Braunschweig aus. Aber vielleicht ändert sich das in Zukunft. Ich gebe die Hoffnung nicht auf.
Liebe Grüße Britta
PS: Wie ich sehe werden jetzt auch in Wolfenbüttel Schlösser an Brücken gehängt. So ein Schwachsinn…
Ich finde die Postidee so cool, inspiriert mich dazu selbst einmal in eine fremde Stadt zu fahren um mich überraschen zu lassen und sie zu erkunden! Die Fachwerkhäuser sehen so niedlich aus
Nun nach dem Abi werde ich ab August auch für 365 Tage den Planeten bereisen und ich bin so voller Vorfreude gegenüber all den Herausforderungen und Eindrücken die mich erwarten werden :)
Du hast mich auf jeden Fall als eine neue Leserin dazu gewonnen.
Liebste Grüße, Lea von http://leachristin.com
Der Artikel ist sehr schön. Es gibt so viele schöne Orte in Deutschland, die man besuchen sollte.